Allgemeiner Deutscher Fahrrad-Club Landesverband Sachsen e. V.

Konrad Krause

Konrad Krause © Juliane Mosterz / ADFC

Interview mit Konrad Krause

DAS IST ZIEMLICH DAS BESTE, IN DAS MAN REINRUTSCHEN KANN

Konrad Krause ist Geschäftsführer des ADFC Sachsen. Die Entscheidung Mitglied zu werden, traf er sehr spontan, auf einer ADFC-Demo im Gedenken an eine getötete Radfahrerin in Dresden. Nach ehrenamtlichem verkehrspolitischem Engagement und Arbeit im Vorstand des ADFC Dresden wechselte er 2013 ins Hauptamt auf die Landesebene. Sein Antrieb damals wie heute: Eine Gesellschaft, die Menschen nicht deshalb besserstellt, weil sie ein Auto haben.

Welche Rolle spielt das Rad in deinem Alltag?

In meinem Alltag spielt das Rad vor allem eine Rolle als Alltagsverkehrsmittel. Ich fahre damit Einkaufen, ich fahre mein Kind zur Schule, ich fahre zur Arbeit. Im Sommer machen wir natürlich auch Radurlaub, gelegentlich auch Radtouren. Ich würde mich nicht als Fahrrad-Fanatiker bezeichnen, aber im Alltag hilft mir das Fahrrad sehr.

Kannst du dich an deine ersten Berührungen mit dem ADFC erinnern?

Meine erste Berührung mit dem ADFC war eine Fahrrad-Demo, die der ADFC in Dresden gemacht hat – heute würde man das wahrscheinlich Ride of Silence nennen. Also eine Fahrt zum Gedenken an eine getötete Radfahrerin, die bei einem Autorennen auf der Kesselsdorfer Straße zu Tode gefahren worden ist. Diese Demo war 2003.

Dort wurde auch darüber gesprochen, wie es nach diesem tödlichen Unfall lief: Niemandem dieser Rennfahrer wurde der Führerschein abgenommen; vor Gericht wurde auch argumentiert, dass sie ja mit dem Auto zur Arbeit kommen müssen. Da wurde mir zum ersten Mal bewusst, wie stark das Auto in die Gene dieses Landes, in die Rechtsprechung, in die Politik reingewachsen ist und wie stark das alles miteinander verklebt ist. Wenn du ein Leben führst, das vielleicht nicht ganz so stark um das Auto dreht und dann Opfer davon wirst, dass sich das Leben anderer Leute stärker um das Auto dreht – weil sie z.B. Rennen fahren und dich zu Tode fahren - dann kannst du in der Gesellschaft nicht davon ausgehen, dass es auf eine Art und Weise eine Rechtsprechung gibt, die sich auf einen neutralen Standpunkt stellt.

Das fand ich schockierend: Die Rechtsprechung ist in Deutschland, was Autostraftaten angeht, nicht auf einem neutralen Standpunkt. Das war mir damals mit 20 Jahren nicht so bewusst. Es hat mich tierisch empört und erschüttert. Ich dachte mir, ich muss irgendwie Teil einer Kraft sein, die dahin arbeitet, dass das korrigiert wird.

Der Punkt ist ja nicht, dass der ADFC verrückte Sachen fordert, sondern dass es wieder normal werden soll. Menschen, die ein Auto fahren, sollen die gleichen Rechte und Pflichten haben wie Menschen, die kein Auto fahren. Wenn ich jemanden mit dem Auto ums Leben bringe, muss das rechtlich ähnlich gewürdigt werden, wie wenn ich das ohne ein Auto tue. Diese Empörung war für mich ein starker Antrieb, zumindest Mitglied zu werden und zu schauen, ob ich mich sogar irgendwie beteiligen kann.

Kannst du dich erinnern, wie es dir bei dieser Demo ging, hast du dich machtlos gefühlt?

Es war schon eine Mischung aus Machtlosigkeit und Wut. Mit 15 hatte ich einen schweren Verkehrsunfall, bei dem mir ein Autofahrer die Vorfahrt genommen hat. Da hätte ich auch durchaus ums Leben kommen können. Ich habe einen Monat im Krankenhaus verbracht, über ein Vierteljahr lang konnte ich nicht wirklich laufen und hatte schwere Beeinträchtigungen. Im Nachgang dieser Sache kam heraus, dass der Autofahrer nicht richtig geschaut hat und auch gar keinen Führerschein besaß – das volle Programm. Aber der Rechtsstaat war mild, es wurde dann ein recht geringes Schmerzensgeld bezahlt. Dabei sind meine Eltern dem ewig hinterhergerannt. Und es ist nicht so, dass man von staatlicher Seite bei solcher Autogewalt Unterstützung bekommen würde.

Abgesehen von dem Fall und der rechtsstaatlichen Reaktion darauf, fand ich auf der Demo auffällig, wie sich der ADFC präsentierte. Da war ein durchhängender Tapeziertisch aufgebaut, mit einem Bettlaken darüber. Man wurde nicht angesprochen, eher beäugt. Irgendwo zwischen Fahrradtouren-Karten lag eine Kopie von einem Mitgliedsantrag.

Ich wollte aktiv Mitglied werden und die Performance, das Auftreten des ADFC war ganz unprofessionell und unbedarft. Mir war dann bald klar: Das ist das Feld, in dem ich mich einbringen würde. Ich wollte, dass der ADFC nach außen tritt und offensiv darum wirbt, größer zu werden. 2003 hatte der ADFC Dresden vielleicht 500 Mitglieder oder vielleicht noch weniger.

Jedenfalls war klar: Wie sich das Auto zum Rest der Gesellschaft verhält, ist eine drastisch ungerechte Situation. Und wenn der ADFC oder überhaupt eine gesellschaftliche Kraft dafür mobilisieren will, dass sich das verändert, dann muss diese Kraft ein professionelleres Auftreten haben, stärker werden. Dafür muss sie aber auch aktiv aus sich selbst heraus etwas tun.

2003 bist du also Mitglied geworden… Was ist in den folgenden 10 Jahren passiert?

Mein erstes Erlebnis als Mitglied war auch nochmal eher Mitleid erzeugend. Ich bin bei einer vom ADFC organisierten Radtour mitgefahren. Im Radtourenprogramm stand der Treffpunkt, da bin ich hingefahren. Dort stand ähnlich vielleicht wie beim Rugby ein Kreis von verschworenen alten Herren – vielleicht waren auch ein paar Frauen dabei – alle im ähnlichen Alter, im ähnlichen Kleidungsstil. Sie standen wirklich körperlich so da, dass man gar nicht in diesen Kreis konnte. Ich habe echt erstmal gerätselt, ob das die ADFC-Tour ist.

Wie auf ein geheimes Zeichen fuhren sie dann los und ich bin mitgefahren. Vom Großteil wurde ich aber links liegen gelassen. Irgendwann sprang dann die Kette bei diesem Fahrrad herunter und schnell waren alle weg und keiner half mir oder nahm überhaupt davon Notiz. Nachdem ich erlebt hatte, wie man einen Infostand nicht macht, erlebte ich, wie man eine Radtour nicht macht. Das steigerte offensichtlich in meinem Unterbewusstsein so ein bisschen den Entschluss, zu helfen.

Das Thema Radtouren war für mich erstmal erledigt. Ich bin dann zuerst zur AG Verkehr gegangen, wo ich durch einen Freund aus der Liegerad-Szene einen Hinweis erhielt. Er kannte jemanden, der dort war. Die Termine wurden nicht öffentlich angekündigt, das war alles ziemlich konspirativ. Die AG Verkehr fand in der Wohnung eines Mitglieds statt.

Abgesehen von dem ungewöhnlichen Ort war das ein sehr spannender Einblick und eine unglaublich professionelle, zielorientierte und konstruktive Arbeitsweise. Ein überwiegender Anteil der Leute waren Verkehrsplaner oder studierten das gerade. Und die wollten wirklich auf dem Stand der Wissenschaft eine moderne Verkehrsplanung machen und Radverkehr implementieren in einer Zeit, wo das nicht selbstverständlich gewesen ist. 2003 ist noch nicht so lange her, aber die Verkehrsplanung in Dresden lief hier wie in den 60er Jahren. Es ging darum, alle Hauptstraßen auf 4 Spuren umzubauen. Die Radwege hatten den einzigen Zweck, Radverkehr irgendwie an die Seite zu drängen, sodass die Autos freie Fahrt haben und so weiter.

Wir hatten also das Ziel, die Stadtverwaltung und die Kommunalpolitik zu einem Weg zu bringen, Radverkehr nicht nur als etwas zu betreiben, was man am Rand abwickelt, um es aus dem Weg zu bekommen, sondern Radverkehr es als Lösung für Verkehrsprobleme zu sehen.

2005 haben wir geschafft, die Mehrheit im Stadtrat zu überzeugen, einen Beschluss zu fassen, dass es ein Radverkehrskonzept geben soll. Im Gegensatz zu Leipzig hatte Dresden ja bis 2005 nicht einmal das politische Bekenntnis, ein Radverkehrskonzept haben zu wollen.

Wie habt ihr das geschafft?

2004 gab es eine Kommunalwahl mit einer Mehrheit aus SPD, Linken und Grünen. Im Vergleich zur vorherigen schwarz-gelben Mehrheit waren sie sehr zugänglich, was Radverkehr anging und haben schon im Wahlkampf Versprechungen gemacht in diese Richtung.

Die drei verkehrspolitischen Sprecher dieser Fraktionen hatten wir sehr schnell im Boot, dann konnten wir Beschlüsse vorschlagen, eine Forderung war z.B. ein Konzept für den Radverkehr. Der nächste Auftrag war eine kurzfristige Maßnahmenliste mit Kleinmaßnahmen, beispielsweise dass das Großpflaster auf Einfahrten durch Asphalt ersetzt wird oder dass Bordsteine abgesenkt werden – was nie umgesetzt wurde. Dann gab es 2005 das erste Mal den Beschluss vom Stadtrat, dass es einen Radverkehrsbeauftragten geben soll.

Bis es dann wirklich einen gab, hat es auch noch viele Jahre gedauert. Die Beharrungskräfte von Verwaltungen in Dresden zu der Zeit begleiten mich auch jetzt auf Freistaatsebene. Politische Entschlüsse werden so zu sagen gefasst, aber dann durch die Behördenseite, also durch die umsetzenden Abteilungen, einfach ausgesessen. Ob nun mangels Personal oder mangels politischer Ansage aus der Hausspitze heraus, wird dann sehr vieles einfach nicht umgesetzt. Das begleitet den ADFC auch immer wieder und letztlich ist es auch mein Job, dort zu bohren und dafür zu sorgen, dass sich solche Sachen auflösen.

Du bist später in den Vorstand des ADFC Dresden gegangen, wann war das?

2010 haben unter anderem Sascha Böhme, Nicole Matthies und ich uns zusammengetan. Vor allem wir drei wollten in den Vorstand und hatten das Projekt, dass der ADFC aus dem Umweltzentrum raus muss und aktiv in die Öffentlichkeit muss.

Das ist schon ein ziemlich großer Schritt, von der Facharbeit in der AG Verkehr in den Vorstand.

Ich habe auch in der AG Verkehr erstmal nichts gemacht, weil ich einen riesengroßen Respekt vor dieser Fachlichkeit und diesem hohen Niveau hatte. In der realen Welt etwas anzustoßen, fand ich aufregend, aber ich habe es nicht so eingeschätzt, dass ich dazu in der Lage wäre. Langsam habe ich mich reingearbeitet und irgendwann angefangen, für den Vorstand Entwürfe für Pressemitteilungen zu machen, Themen aufzuwerfen und Vorschläge zu machen.

Ende 2009 oder 2010 war dann der Zeitpunkt, wo wir uns überlegt haben, dass wir im ADFC stärker an die Öffentlichkeit müssen. Da habe ich mich auch getraut, Vorstand zu werden. Aber ich hatte wirklich Angst davor, diese Verantwortung zu übernehmen. Dann begann unser Projekt, die Strategie zu ändern und offensiver zu werden. Wir wollten viele Mitglieder, wir wollen Fundraising betreiben, wir wollen eine Geschäftsstelle öffnen. Wir wollten größere, schnellere Schritte. In einem Laden wollten wir Publikumsverkehr und Leute ansprechen. Das war eine Sache, von der man nicht sagen konnte, ob sie wirklich klappen würde. Im Inneren war ich nur vorsichtig optimistisch, im Prinzip war mir klar, dass das gehen kann. Aber im Geheimen hatte ich schon etwas Skepsis, ob es wirklich wird.

Wir haben dann ganz vorsichtig gerechnet: Nach wie vielen Jahren sind wir pleite, wenn wir das machen?, und haben überlegt, was die Rückzugsmöglichkeiten sind. Im schlimmsten Fall wären wir ins Umweltzentrum zurückgegangen. Das heißt also, wir hätten die Gelder vom ADFC verbrannt, keinen Erfolg gehabt und hätten dann aber wieder auf den Stand von vorher zurückgehen können. Das heißt: Schlimmer wäre es ja nicht geworden. Das hat uns zum Schluss ermutigt, zu sagen: Was soll schon groß passieren? Was nützt ein ADFC, der 20.000 Euro auf der hohen Kante hat und damit nichts macht? Das ist ja zum Schluss genauso gut wie ein ADFC, der 0 Euro auf der Kante hat und damit nichts macht!

Wir haben das Projekt dann also gestartet und tatsächlich auch ein Ladengeschäft auf dem Bischofsweg gefunden, was damals ein riesen Schritt war. In den ersten Jahren hatten wir unglaublich viele Begegnungen mit Leuten, die vorbeikamen und erstmal Mitglied werden wollten. Es entstanden so viele Gespräche, wie sie in der Umweltzentrum-Geschäftsstelle in 20 Jahren nie passiert sind.

2013 bist du Geschäftsführer des ADFC Sachsen geworden. Warum wurde diese Stelle ausgeschrieben?

Es gab schon 2011 einen Beschluss der Bundeshauptversammlung, dass man professionell geführte Landesgeschäftsstellen in allen 16 Bundesländern haben will. Dazu gehört ein Geschäftsführer, der den ADFC vor Ort aufbaut, wo noch Aufbauarbeit nötig ist. In Sachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Schleswig-Holstein, Rheinland-Pfalz und im Saarland war dies der Fall. Dieser Beschluss traf sich relativ passend mit dem Ende meines Studiums, das ich im Herbst 2012 beendet habe. Zunächst war ich erstmal in einem NRVP-Projekt zur Erforschung von Unfalltypologien von Personen über 65 tätig, ein total spannendes Thema. Und im April oder Mai kam dann diese Stelle, da habe ich mich sofort beworben. Eigentlich war es die Fortsetzung dessen, was ich im Ehrenamt auf kommunaler Ebene gemacht habe, auf einer weiteren Ebene. Ich fand es total spannend, eine Stufe abstrakter in die Landespolitik zu gehen. Da ich Politikwissenschaften studiert habe, war es für mich nicht undenkbar, landespolitisch zu arbeiten.

Hattest du Zweifel, ob es eine gute Idee sein könnte, sich zu bewerben und die Stelle dann anzunehmen?

Eigentlich nicht. Ich hatte Glück, dass es zeitlich so gut passte, da hatte ich keine Zweifel.

Würdest du dich wieder bewerben?

Ich glaube schon. Ich würde mit 38 Jahren keine 20-Stunden-Stelle annehmen, wie es damals ausgeschrieben war. Im Prinzip finde ich diesen Job aber nach wie vor total interessant und abwechslungsreich. Man hat mit so vielen verschiedenen Leuten zu tun, das ist ziemlich das Beste, in das man reinrutschen kann.

Du bist in vielen Bereichen tätig: Du machst Lobbyarbeit, Pressearbeit, Social Media, Verbandsarbeit, Aktiven-Schulungen… Ist es für dich eine willkommene Abwechslung oder Stress?

Beides. Ich finde es schon sehr gut und wichtig, dass man diese verschiedenen Themen auf dem Tisch hat. Als Geschäftsführer so eines Landesverbandes, der ja sehr unterschiedliche Themen und Arbeitsaufgaben bearbeitet, braucht man einen gewissen Einblick. Mit der wachsenden Zahl meiner Wochenstunden gewinne ich ja nicht viel mehr Zeit. Im Gegenteil: die zusätzlichen Aufgaben und Akteure, die auf den ADFC zugehen und die vom ADFC auch eine professionelle Antwort und Reaktion erwarten, überholen ständig. Das ist ein Wettlauf und dann ist klar, dass wir die Arbeit immer mehr teilen müssen.

Seit Jahresbeginn haben wir eine Referentin für Tourismus, wir haben zwei Bundesfreiwillige, die viel Arbeit abnehmen, die ich vorher gemacht habe und selbst auch neue Aufgaben erfinden. Innerbetrieblich entsteht dann ein Kreislauf, sodass wir im Output exponentiell wachsen. Meine Rolle ist dadurch immer stärker koordinierend. Man teilt immer stärker die Arbeit, was aber auch die Gefahr in sich birgt, dass man immer ineffizienter wird und irgendwann mit 17 Leuten das macht, was man auch mit 10 schaffen würde. Innerhalb der Geschäftsstelle muss ich immer wieder schauen, wie wir es hinbekommen, trotz viel mehr Abstimmungsbedarf effizient, dynamisch und schlagfertig zu bleiben. Mein Eindruck ist, dass es aber ganz gut gelingt.

Du hast schon einige Veränderungen beschrieben…Wie hat sich der Landesverband darüber hinaus in diesen siebeneinhalb Jahren verändert?

Die Arbeit des Vorstandes hat sich sehr stark geändert. Die Vorstände sind viel strategischer unterwegs. Der Geschäftsstelle - Barbara, Janine und mir - werden die Details überlassen. Janine nimmt Termine beim Tourismusverband wahr, ich treffe mich mit politischen Akteuren oder nehme Kontakt zu ihnen auf, ohne dass der Vorstand jedes Mal darüber schauen muss. Es ist eine Entwicklung erkennbar, dass der Vorstand immer mehr die Leitlinien vorgibt.

Früher hat der Vorstand viel mehr Pressearbeit betrieben und stärker direkt mit den Mitgliedern kommuniziert. Bei über 7.700 Mitgliedern ist das nicht mehr so einfach. Das war eine Arbeitsweise zu Zeiten, wo es noch keinen Geschäftsführer gab, bzw. wo ich weniger Stunden hatte und sich alles erstmal eingespielt hat. Da hat der Vorstand natürlich operative Dinge gemacht, z.B. eine Website programmiert. Auch heute gibt es noch Stellen, wo Vorstandsmitglieder operative Dinge tun und das ist auch völlig okay. Aber es ist bedeutend weniger so, dass das grundsätzlich dazu gehört und man sich darauf verlassen muss.

Andererseits hat die Zahl von Mitgliedern, die auf einen zukommen und fragen, ob sie uns unterstützen können, stark zugenommen. Das ist eine wunderbare Bestätigung unserer Arbeit und es macht eine ganz andere Arbeit des Vorstandes möglich, sich eher um große Linien zu kümmern. Dann haben die Vorstandsmitglieder natürlich auch mehr Energie, um z.B. den ADFC auf der Landespressekonferenz zu vertreten und solche nach außen wirkende Dinge. Das ist eine echte Professionalisierung und ein großer Schritt nach vorn.

Du hast gerade das Wachstum und die Professionalisierung beschrieben. Hättest du vor sieben Jahren erwartet, dass es so kommt? Falls nein, was waren deine Erwartungen dann?

Vor sieben Jahren habe ich nicht daran gedacht, wo der ADFC Sachsen in sieben Jahren stehen wird. Der Horizont, den man nach vorn hatte, betrug nicht so viel, was die Verbandsentwicklung angeht. Nach spätestens zwei Jahren habe ich gemerkt, dass die Planungen immer gnadenlos in irgendeiner Weise von der Realität über den Haufen geworfen wurden. Wachstumsprognosen haben wir nicht immer erreicht und manchmal haben wir sie extrem übertroffen.

Aber man kann natürlich auch viel Zeit darauf verwenden, die Finanzplanung für in fünf Jahren schon einmal zu machen, es wird in der Realität aber immer anders kommen, sodass ich eine zu weite Voraussicht irgendwann auch gelassen habe. Schon die Finanzplanung für ein Jahr ist anspruchsvoll.

Andererseits kann man auch sagen, dass ich vor sieben Jahren natürlich erwartet habe, dass der ADFC so wächst, ich habe mir bis dahin nur nicht die Zahlen ausgerechnet, weil das völlig müßig ist. Fairerweise muss man sagen, dass der ADFC Sachsen grandios wächst. Aber wenn wir im ADFC Sachsen so viele Mitglieder haben würden wie es der Bundesverband im Schnitt auf die Einwohner gerechnet hat, müssten wir jetzt schon 10.000 Mitglieder haben. Wir sind also immer noch auf dem Weg, wir sind noch überhaupt nicht angekommen. Und ich glaube, dieser Geist ist auch wichtig für einen lebendigen Verband: Wir sind auf den Weg. Wir sind eine Baustelle, eine Wanderbaustelle. Wanderbaustelle mit Lastenrad. Und wichtig ist natürlich auch, genau das den Mitgliedern zu kommunizieren und nicht in einen angekommenen Modus zu verfallen.

Zu meinen Erwartungen: Ich habe schon erwartet, dass eigentlich viel mehr möglich sein muss beim Mitgliederwachstum, der Anzahl der Beschäftigten, einem größeren politischen Output, etc. Aber wie sich das konkret manifestiert, hängt von so vielen Zufällen ab, die auch von außen und aus der Mitgliedschaft oder vom politischen Geschehen kommen. Das kann man natürlich nicht voraussehen.

Was war dein schönster Moment als Geschäftsführer?

Ein sehr schöner Moment war, als wir 2015 die Bundeshauptversammlung in Dresden hatten, weil so viel geklappt hat und es einfach wunderbar war. Wir hatten auch einen schönen Tagungsort. Also weniger aus inhaltlichen, sondern eher aus organisatorischen Gründen. Wir hatten gute Gespräche und ein gutes Klima, alle haben nachher gesagt: Das war eine super Bundesversammlung. Zur BHV wurde auch der Verbandsentwicklungsprozess beschlossen, also diese für den ADFC Bundesverband wichtige Weiterentwicklung zu einem professionellen Verbandsmanagement, wo ja der gesamte Verband unterwegs ist. Ich war wirklich begeistert, von unseren Leuten und insbesondere Barbara muss man hier erwähnen, durch welche die Organisation reibungslos lief. Es gibt aber noch eine ganze Reihe anderer toller Ereignisse.

Was war das lustigste Erlebnis?

Das lustigste Erlebnis war eigentlich, als Helmar Nestroy mit seiner Gitarre auf einer Demo in der Sächsischen Schweiz das Lied zum durch den sächsischen Verkehrsminister verhinderten Radwegebau an der S 163 gespielt hat. Das hatte schon auch etwas Komisches.

Was hat dich denn in den letzten sieben Jahren am meisten überrascht?

Was mich immer wieder überrascht, ist, dass die Suche nach neuen Vorständen immer klappt, sobald einer geht. Dass es funktioniert, dass sich Leute ansprechen lassen und die Bereitschaft haben, diesen Job zu machen. Das finde ich total super.

Sowohl auf Landes- als auch auf Kreisverbandsebene kommt immer eine starke Kraft aus diesen personellen Veränderungen. Ich höre aus anderen Landes- oder Kreisverbänden, dass das durchaus ein existenzielles Problem sein kann. Richtige Probleme bei der Vorstandsnachfolge hatten wir in Sachsen eigentlich nicht. Das finde ich eigentlich eine sehr positive Sache, wobei ich mich nicht darauf verlassen will, dass das jetzt jedes Mal klappt. Es ist aber toll zu beobachten, dass immer wieder Leute da sind, die mitmachen, Impulse bringen und Verantwortung übernehmen. In fast allen Fällen spielt sich das dann auch super ein.

Wie sieht die Zusammenarbeit mit deinen Vorständen aus?

Sehr unterschiedlich. Es stecken ja auch alle in unterschiedlichen Lebenssituationen. Manche sind sehr aktiv und schreiben mir praktisch täglich E-Mails. Das Verständnis ist aber durchaus da, dass ich eine 32-Stunden-Woche und ohnehin eine breite Themenpalette habe. Auch hier sind wir ja im Modus der „Wanderbaustelle“ und darüber besteht auch eine gute Einigkeit: Dass wir gemeinsam auf dem Weg sind und uns gegenseitig helfen.

Ohne ein solches Bewusstsein kann der Geist, dass wir gemeinsam unterwegs sind und gemeinsam versuchen, den Verein schnell voranzubringen, leicht scheitern. Das ist nicht der Fall, es herrscht ein großes Vertrauen. Im Einzelnen gibt es durchaus Stress, besonders, wenn wir strukturelle Veränderungen organisieren müssen. Und das passiert bei einem so vielfältig agierenden und stark wachsenden Verein natürlich mehr oder weniger andauernd. Meiner Meinung nach kommen wir aber gut durch. Von anderen Arbeitgebern, wo es auch diese Unterteilung in Haupt- und Ehrenamt gibt, kenne ich da ganz andere Verhältnisse. Davon sind wir weitestgehend verschont, es ist eine unglaublich konstruktive Art, miteinander umzugehen.

Wo siehst du den ADFC in zehn Jahren?

In zehn Jahren sehe ich den Verein deutlich stärker im Servicebereich, weil es dann eine andere Sorte Radfahrer geben wird, die viel stärker Versicherungen und Servicepakete und solche Dinge wollen. Ich sehe den Verein nicht deshalb im Servicebereich, weil wir uns von der Politik abgewendet haben, sondern weil wir politisch etwas erreicht haben. Bestimmte Dinge, für die wir jetzt immer noch kämpfen, als wären sie etwas Unnormales, werden dann einfach selbstverständlich sein.

Ich denke, wir werden auch stärker mit Akteuren zusammenarbeiten, die Support von uns brauchen und die wir teilweise sogar selbst aufs Gleis gesetzt haben, wie Rad.SN. Dadurch können wir gemeinsam Projekte durchführen und auf einer anderen Ebene zusammenarbeiten als das bisher mangels solcher Akteure und mangels einer entsprechenden Agenda möglich war. Da gibt es ja noch viele andere Akteure, mit denen man durchaus viel mehr machen könnte. Dafür brauchen wir natürlich erstmal mehr Power. Daher sehe ich den ADFC in zehn Jahren auch mit einer deutlich höheren Mitgliederzahl. Ich gehe davon aus, dass wir in zehn Jahren 20.000 oder 30.000 Mitglieder in Sachsen haben werden.

Was ich nicht weiß, ist, wie der ADFC in zehn Jahren außerhalb der drei großen Städte aussehen wird; ob da dann viel passiert ist? Aber auch in den großen Städten wird dann noch unglaublich viel zu tun sein und nach wie vor ein großes ehrenamtliches Engagement erforderlich sein. Die Rolle des ADFC Sachsen wird weiterhin sein, diese Akteure miteinander in Verbindung zu bringen und know-how zu verteilen und Akteure zusammen zu bringen.

In zehn Jahren werden wir nicht alle Probleme gelöst haben, aber wir werden ein großes Stück weiter sein, was die Verkehrswende angeht. Ob die Verkehrswende nur durch unsere Arbeit kommt oder ob sie durch Dinge wie die CO2-Steuer oder Peak Oil von selber kommt, werden wir dann sehen.

Hast du auch Sorgen mit Blick auf die nächsten zehn Jahre?

Ich mache mir eigentlich eher Sorgen in Bezug auf andere Themen. Der Klimawandel ist ganz explizit so ein Thema. Da sehe ich den ADFC auch als Akteur sehe, der eine Rolle spielt, die Verkehrswende voran zu treiben. Aus meiner Sicht droht aber auch, dass die Verkehrswende einfach als Austausch eines Motorblocks durch einen Akku oder E-Motor gesehen wird. In Deutschland und Europa haben wir die Tendenz, dass sich zum Schluss beim Thema Verkehrswende die Interessen von Autokonzernen durchsetzen und wir so die Chancen verpassen, die eine Verkehrswende bietet, nämlich die sinnvollere Nutzung von Flächen in der Stadt und emissionsfrei unterwegs zu sein. Dabei wäre das Fahrrad ein großer Teil der Lösung.

Da nehme ich es auch so wahr, dass es im politischen Raum eine unglaubliche Trägheit gibt. Ich habe auch nicht den Eindruck, dass eine Regierungsbeteiligung der Grünen sofort alle Probleme in der Verkehrspolitik lösen wird. Cem Özdemir erzählt ja fast wöchentlich, wie wichtig das alles ist mit den Autos. Klar wird es Autos geben müssen, die Frage ist eben immer eine des Quantums.

Als ADFC haben wir noch viel vor und die Frage, ob wir das schaffen, macht mir schon auch etwas Sorgen. Es spielen natürlich In die Klimathematik viele andere Themen mit rein. Die Menschheit wird nicht genesen, wenn alle Menschen Fahrrad fahren. Es ist aber ein großer Schritt, den man vergleichsweise einfach gehen kann. Neben der Klimathematik haben wir die Flächenthematik, die Frage, wie viele Unfallopfer wir bereit sind, jedes Jahr hinzunehmen, die Frage, wie viel Aufwand wir betreiben wollen und wie effizient oder ineffizient wir unser Verkehrssystem organisieren wollen, in einem gesamtgesellschaftlichen Maßstab. Für all das ist das Fahrrad eine wundervolle Lösung. Ich sehe es als Aufgabe des ADFC darauf immer wieder hinzuweisen. Das wird auch noch viele Jahre nötig sein.
 

Das Gespräch führte Janek Mücksch

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