Dresdner Radaktivistin freigesprochen: In der Mitte fahren ist keine Nötigung
Oft fehlen an Landstraßen Radwege. Angesichts der hohen Geschwindigkeiten wird dies oft zu einer Gefahr für Radfahrer. Viele Menschen fahren deshalb aus Angst mit dem Rad am rechten Fahrbahnrand. Ist es Nötigung, wenn man das nicht macht?
Im vergangenen Jahr beschäftigte diese Frage eine Dresdner Radfahrerin. Sie fuhr wegen eines fehlenden Radweges im Mischverkehr gemeinsam mit den Autos. Dort wurde sie von einem Autofahrer angehupt, bedrängt und gefährdet. Doch nachdem sie den Fall bei der Polizei zur Anzeige gebracht hatte. wurde ihr selbst Nötigung des Autofahrers vorgeworfen, da sie zu nah an der Mitte der Fahrbahn gefahren sei. Das Urteil in ihrem Fall bekräftigt nun, dass mittig fahren per se nicht den Tatbestand der Nötigung erfüllt und man mit dem Rad nicht dazu angehalten ist, am äußerst rechten Fahrbahnrand zu fahren.
Der Videomitschnitt des Falls, der mittlerweile schon über ein Jahr zurückliegt, zeigt die Situation deutlich: Die Radfahrerin ist unterwegs auf der B 6 in Dresden stadtauswärts in Richtung Rossendorf. Aufgrund der schlechten Fahrbahnbeschaffenheit mit vielen Schlaglöchern ist es mit dem Rad nicht möglich, sicher am rechten Fahrbahnrand zu fahren. Dass sie diesen Sicherheitsabstand zum Fahrbahnrand hielt, hinderte einen Autofahrer daran, knapp zu überholen. Auf einer Strecke von etwa 300 Metern fuhr er mit heulendem Motor und Dauerhupen immer wieder sehr dicht auf sie auf, bis er anschließend abbog. Gut für die Radfahrerin: Sie filmte den Vorfall. Und brachte anschließend den Fall zur Anzeige.
Aus dem Video geht eindeutig hervor: Für den Autofahrer herrschte faktisch ein Überholverbot, denn die Fahrbahn wird von einer durchgezogenen Mittellinie begrenzt, welche beim Überholen nicht überfahren werden darf. Außerorts müssen Autos beim Überholen zudem mindestens 2 m Abstand zu Radfahrern halten. Bei einer Fahrbahnbreite von 3,50 m und einer Breite des Fahrzeugs von 2 m ergibt sich schon rein rechnerisch ein Überholverbot – selbst wenn die Radfahrerin am äußersten rechten Fahrbahnrand gefahren wäre.
Video: Videomitschnitt
Doch obwohl der Polizei das Videomaterial vorlag, beschuldigte der zuständige Hauptkommissar die Radfahrerin ihrerseits, sie habe Autofahrer am Überholen gehindert und ermittelte gegen sie wegen Nötigung. Ursprünglich aufgrund ihrer Anzeige als Zeugin geladen, fand sie sich in einer Vernehmung als Beschuldigte wieder - ohne, dass ihr dies vom Beamten explizit klargemacht worden wäre.
Daraufhin beantragte die Staatsanwaltschaft einen Strafbefehl beim Amtsgericht – gegen die Radfahrerin. Nach ihrem Widerspruch kam es am 30. August zur Hauptverhandlung. Vor Gericht konnte Staatsanwaltschaft und Richter das Video gezeigt werden, auf dessen Grundlage sie vom Vorwurf der Nötigung freigesprochen wurde. Das Gericht erkannte außerdem an, dass der Sicherheitsabstand, den sie zum Fahrbahnrand hielt, keine Nötigung des hinterherfahrenden Autos darstellte.
Das sogenannte Rechtsfahrgebot ist im §2 Abs. 2 der StVO geregelt: „Es ist möglichst weit rechts zu fahren (…).“ Daraus geht jedoch nicht hervor, dass man mit dem Fahrrad verpflichtet ist, am äußersten Rand der Fahrbahn oder gar auf der Fahrbahnmarkierung zu fahren. Das Gerichtsurteil bekräftigt nun nochmals Radfahrer darin, dass mittig fahren keine Nötigung darstellt, wenn ein gefahrloses Fahren am rechten Rand nicht möglich ist – beispielsweise aufgrund von Schäden auf der Fahrbahn.
Was ist aus der Anzeige der Radfahrerin gegen den drängelnden Autofahrer geworden? Nachdem sie den Vorfall zur Anzeige brachte, verwies die Staatsanwaltschaft sie auf den Privatklageweg, denn an der Verfolgung des Falles bestünde kein öffentliches Interesse. Die Radfahrerin und ihr Anwalt hoffen nun auf eine Wiederaufnahme des Verfahrens durch die Staatsanwaltschaft, denn in der Hauptverhandlung zeigten die Aussagen des Autofahrers, dass ihm der Überholabstand von 2 m außerorts nicht geläufig war. Zudem meinte er, er hätte „gerade so“ überholen können, wenn er über die durchgezogene Mittellinie gefahren wäre. Auch das ist freilich nicht erlaubt. Für die Betroffene und ihren Anwalt ergibt sich schon allein daraus ein öffentliches Interesse, denn durch sein Unwissen über grundlegende Regelungen der StVO gefährde der Autofahrer nicht nur sie persönlich, sondern auch andere Verkehrsteilnehmer. Außerdem meldete die Radfahrerin den Autofahrer bei der Führerscheinstelle.
Entlang des Abschnitts der B 6, auf dem die Radfahrerin vergangenes Jahr bedrängt wurde, entsteht seit dem Sommer ein Radweg. Dieser verläuft zwischen der Kreuzung mit der Pirnaer Landstraße (S177) und dem Helmholtz-Zentrum in Rossendorf. Bisher mussten Radfahrer ab der Kreuzung auf der stark befahrenen Bundesstraße in den Mischverkehr wechseln. Mit dem neuen Radwegabschnitt wird zwar eine von vielen Gefahrenstellen an Landstraßen ohne Radweg entschärft, doch der Radwegebau geht in Sachsen weiterhin nur schleppend voran. Zwischen Planungsbeginn und dem tatsächlichen Baustart bei straßenbegleitenden Radwegen liegen oft viele Jahre, nicht selten Jahrzehnte. In Sachsen verfügen aktuell nur 18 % der Staats- und Bundesstraßen über einen Radweg. Erst im Juli veröffentlichte die Unfallforschung der Versicherer (UDV) eine Studie zu schweren Radunfällen auf Landstraßen, aus der hervorgeht: bei drei von vier Radunfällen fehlt ein Radweg an der Landstraße.
Damit Sachsen zum Fahrradland wird, braucht es aus Sicht des ADFC mehr Geld für Radinfrastruktur, mehr Planungspersonal und mehr Anstrengungen für Verkehrssicherheit. Neben dem sicherer Infrastruktur gehört dazu auch eine Staatsanwaltschaft, die ihre Arbeit macht und Drängler und Raser aktiv verfolgt. Denn zweifellos ist die Ahndung verkehrsgefährdenden Verhaltens nicht die Privatsache der Opfer, sondern von öffentlichem Interesse.